Marokkanischer Wettbewerbsrat untersucht Geschäftsgebaren von Privatkliniken und kommt zu einem vernichtenden Urteil hinsichtlich Effizienz sowie der Ehrlichkeit bei der Rechnungsstellung.
Rabat – Es liegt eine aktuelle Einschätzung des marokkanischen Wettbewerbsrates zur medizinischen Versorgung durch Privatkliniken bzw. ähnliche Einrichtungen in Marokko vor. Die Kernergebnisse lassen diesen Teil der medizinischen Versorgung in keinem guten Licht dastehen.
Die Untersuchung des Wettbewerbsrats stütze sich auf eine objektive Bewertung der Wettbewerbssituation auf dem Markt für Dienstleistungen, die von privaten Kliniken angeboten werden. Auf diese Weise können einerseits Schlussfolgerungen über die Entwicklung dieses Marktes in den letzten Jahren gezogen werden und andererseits die Funktionsstörungen festgestellt werden, mit denen der Markt seine Rolle nicht optimal erfüllen kann, erläutert das Nachrichtenportal Media.24 die Vorgehensweise des Wettbewerbsrat in einem Artikel vom 9. Dezember 2022.
Der Markt für die medizinische Versorgung durch Privatkliniken ist intransparent.
Privatkliniken werden trotz ihres großen Anteils an der Gesundheitsversorgung und am medizinischen Bedarf nicht regelmäßig von den Behörden überwacht bzw. kontrolliert, kritisiert die Untersuchung des Wettbewerbsrates. Z. B. gebe es innerhalb des Gesundheitsministeriums keine Verwaltungseinheit bzw. Struktur (Abteilung, Einheit oder Direktion), deren Aufgabe die Überwachung, Förderung oder Sammlung von Informationen über Privatkliniken sei. Aufgrund dieses Mangels sah sich der Wettbewerbsrat gezwungen, ein akkreditiertes Forschungsunternehmen mit einer Vor-Ort-Untersuchung zu betrauen. Mit dieser Untersuchung sollten Angaben über die Marktstruktur, das Preisgefüge der Privatkliniken, die Eintrittsbarrieren usw. ermittelt werden. Auf über 100 Seiten wirft die Analyse ein wenig schmeichelhaftes Bild auf den privaten medizinischen Sektor, welche die Regierung und vor allem das marokkanische Gesundheitsministerium aber auch die Strafverfolgungseinrichtungen zum Handeln auffordert.
Privatkliniken als wichtige Teilnehmer am Gesundheitsmarkt
Derzeit gebe es 613 private medizinische Versorgungseinrichtungen, von denen 389 private Kliniken seien (63 %). Dies entspräche ca. einem Drittel (33,6 %) der nationalen Klinikkapazitäten in dem nordafrikanischen Königreich. Mit der Veröffentlichung des Gesetzes 131.13 und der Vereinfachung der Kapitalbeschaffung, hätten sich die Investitionen in diesem Sektor nochmals beschleunigt. Bei der Beanspruchung von medizinischen Versorgungseinrichtungen durch Patientinnen und Patienten seien die Privatkliniken der höchste Ausgabenposten bei der Drittmittelausgabe der obligatorischen und gesetzlichen Krankenversicherung (AMO). Außerdem seien sie nach den Apothekern und den Anbietern medizinischer Geräte der zweitgrößte Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen überhaupt in Marokko.
Ungleiche und unausgewogene geografische Verteilung der Privatkliniken
Die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen und Provinzen bzw. die Verfügbarkeit von Gesundheitspersonal scheinen die Verteilung der Privatkliniken in Marokko zu bestimmen. Bislang, so die Untersuchung des Wettbewerbsrates weiter, ist diese Verteilung besonders ungleichmäßig und unausgewogen. In nur fünf der 16 Regionen sind 79 % der privaten Kliniken und 82 % der privaten Krankenhausbetten konzentriert. Die Rede ist von den Regionen Casablanca-Settat, Rabat-Salé-Kénitra, Tanger-Tétouan-Al Hoceima, Fès-Meknès und Marrakech-Safi. Der Privatsektor beherberge in diesen Regionen zwischen 25 % und 50 % der Bettenkapazitäten.
In den südlichen und südöstlichen Regionen gebe es dagegen fast keine derartigen Gesundheitsstrukturen oder Einrichtungen.
Struktureller Mangel an medizinischem und semi-medizinischem Personal sowie Abwerbung von Staatspersonal durch die Privatkliniken.
Die Betreiberinnen und Betreiber würden den Mangel an medizinischem und semi-medizinischem Personal (z.B. Verwaltung) als ein strukturelles Markthindernis betrachten. Dies führe zu zahlreichen Problemen:
darunter unzureichende Verfügbarkeit von Privatkliniken in den verschiedenen Regionen des Königreichs, Verlust von Pflegepersonal bzw. Ärztinnen und Ärzte in öffentlichen Einrichtungen an den Privatsektor, Streichung von Teilzeitstellen.
Der Rückzug bzw. die Abwerbung von medizinischem und semi-medizinischem Personal im öffentlichen Gesundheitssystem verzerre nicht nur den Wettbewerb auf dem Markt für private Krankenhausdienstleistungen, sondern verändere auch erheblich die Effizienz bei der Nutzung der öffentlich-rechtlichen Krankenhausinfrastruktur.
Betrügerische Praktiken schwächen das Vertrauen in die Dienstleistungen von Privatkliniken.
In Anbetracht der Besonderheit der medizinischen Versorgung, die durch ein Informationsungleichgewicht zwischen den Patientinnen und Patienten und der behandelnden Ärztin oder Arzt sowie der Klinik, zu Gunsten der Einrichtung, mit sich bringen würde, werden die Leistungen und die Abrechnung der Kliniken von den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen sehr häufig angezweifelt. Das Vertrauen ist nicht selten geringe, den es seien immer wieder Betrügereien aufgedeckt worden.
Die Rede ist v. a. von „Kunden-Patienten-Vereinbarungen“, Exklusivverträgen und Rabatten oder Provisionsmodellen zwischen Kliniken und Transportunternehmen (Krankenwagen, Taxis usw.). Außerdem bieten sie niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen bzw. privaten Sektor Vorteile an, wenn diese Patienten entsprechend verweisen.
Darüber hinaus werden in den Kliniken sog. Einzahlungsscheinen bzw. Garantieschecks verwendet, was sowohl nach dem Strafgesetzbuch (Artikel 544) als mit dem Gesetz 131.13 über die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit verboten ist, wenn Zahlungen von Dritten geleistet werden (Artikel 75). Dies bedeutet, dass eine Klinik illegal und strafrechtlich relevant handelt, wenn sie von Patientinnen oder Patienten Vorkasse oder Schecks vor Behandlungsbeginn verlangt, wenn klar ist, dass eine dritte Partei, vor allem eine Versicherung, vorhanden ist und Zahlungen leisten wird.
Die Privatkliniken würden dieses Verfahren oder diese Handlungsweise damit begründen, dass sie die Bezahlung von Leistungen durch Patientinnen und Patienten sicherstellen wollen.
Häufig werde auch die Praxis der „Schwarzarbeit“ oder „Schmiergeldforderungen“ von Patientinnen und Patienten angeprangert, obwohl dies eher die Ärztinnen und Ärzte als die Kliniken betrifft. D.h. eine regelgerechte Betreuung, die ohne hin durch die Klinik abgerechnet wird, würden sich medizinische Kräfte zusätzlich bezahlen lassen, im Sinne eines „Trinkgeldes“. In den meisten Fällen erhebe „die Ärztin oder Arzt diese Forderungen nach eigenem Ermessen“. Außerdem sei eine übermäßige Tendenz zur Redundanz zu beobachten. Dazu gehöre die hohe Anzahl von Untersuchungen, die den Patientinnen und Patienten auferlegt werden, ungerechtfertigte Überweisungen an Fachkollegen, ungerechtfertigte Einweisungen in die Intensivstation, überhöhte Rechnungen für Übernachtungs- und andere Unterbringungskosten sowie Rechnungen für nicht verwendete Medikamente. Dies führt manchmal zu einer doppelten Rechnungsstellung in Privatkliniken.
Der gesamte Untersuchungsbericht des Wettbewerbsrat finden Sie hier (klicken).