Libysche Einheitsregierung soll bei der Organisation von Wahlen unterstützt werden.
Berlin – Am Mittwoch (23. Juni 2021) findet in der deutschen Hauptstadt Berlin, die neuerliche sog. Libyen – Konferenz statt. Es ist, die zweite Libyen – Konferenz unter der Führung der UNO und unter Einladung des UNO – Generalsekretärs António Guterres sowie dem deutschen Außenminister Heiko Maas in Berlin.
Eingeladen sind wieder alle Parteien, die direkt oder indirekt in den Konflikt in Libyen involviert sind oder an dem bisherigen „Berlin Prozess“ beteiligt waren und dies sind nicht wenige. Das Land wird zwischen den wirtschaftlichen, idiologischen und machtpolitischen Interessen zahlreicher libyscher Gruppen aber auch Länder der Region, der EU, Russlands und der USA geradezu zerstückelt und der Weg zu einer Einheit gestaltet sich schwer. Hoffnungsvoll stimmt, im Unterschied zu ersten Libyen-Berlin Konferenz (19. Januar 2020), dass eine offizielle libysche Einheitsregierung an der Zusammenkunft teilnimmt.

Zahlreiche Konfliktparteien stehen sich gegenüber.
Bei diesem Konflikt in dem zentral-maghrebinischen Land stehen sich zahlreiche Gruppierungen und Milizen gegenüber. Unter anderem sind der sog. Islamische Staat, der lange die Region rund um Sirte kontrollierte, aber auch der Stamm der Tubu (im Süden) und die Tuareg (im Osten an der algerischen Grenze) militärisch und separatistisch aktiv. Die größten Konfliktparteien sind die von der UNO anerkannte Regierung in Tripolis, die militärisch nur den äußersten Nordwesten kontrolliert hat, und die Milizen um General Haftar, der den gesamten Osten, Zentrallibyen und die Mittelmeerküste kontrolliert. Während die Regierung in Tripolis als gemäßigt islamitisch gilt und der Ideologie der Muslimbrüderschaft zugerechnet wird, steht General Haftar für säkulare Weltanschauungen. Zugleich kontrolliert er große Teile der Erdöl- und Gasvorkommen in Libyen, während Tripolis die Exportterminals an der Mittelmeerküste und die Zentralbank unter sich hat, über die alle Exporte bzw. eingehendenden Geldflüsse aus dem Rohölhandel, vor allem mit Europa, laufen müssen. Obwohl General Haftar große Teile der Rohöl- und Gasproduktion kontrolliert, kontrolliert Tripolis zumindest den legalen Export und die Finanzmittel aus den entsprechenden Geschäften.

Libyen wird zum Opfer der Gier nach Öl und zum Austragungsort eines Stellvertreterkrieges zwischen machtpolitischen Rivalen.
Neben den inländischen Konfliktparteien sind viele ausländische Staaten und Gruppierungen in den Konflikt involviert. Obwohl die UNO und die EU die Regierung in Tripolis anerkannt haben, scheint dies viele Länder wenig zu kümmern, auch aus den eigenen Reihen.
Konkret unterstützen vor allem die Türkei, Algerien, Katar, aus Syrien stammende Milizen, Tunesien und Marokko die Regierung in Tripolis.
Die Türkei machte mehr oder weniger kein Geheimnis daraus, dass man auch direkt militärisch, durch die Entsendung von Söldnern und von Waffen, Tripolis schützt.
Zum einen, weil die regierende AKP unter Präsident Erdogan der ideologischen islamischen Haltung der Regierung in Tripolis nähersteht und zum anderen ist die Türkei vor allem an Seerechten Libyens interessiert, die den Zugriff auf Erdgasvorkommen bis nahe Süd-Zyperns, auf die auch Griechenland Anspruch erhebt, ermöglichen sollen. Dazu hatte die Türkei vor der Entsendung von Söldnern ein entsprechendes Seerechtabkommen in Ankara mit Tripolis unterzeichnet.
Auch Algerien änderte 2020 seine Verfassung, die bis zu diesem Zeitpunkt Auslandseinsätze des Militärs verboten hatte, um bei einer ernsthaften Bedrohung von Tripolis eingreifen zu können. Dies bestätigte der algerische Staatspräsident vor wenigen Wochen in einem TV-Interview auf dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera. Das andere Nachbarland Tunesien und Marokko im Westen, ohne direkte Grenze, sind diplomatisch involviert. Während Tunesien ausdrücklich den UNO-Friedensprozess unterstützt, ist Marokko direkt in die diplomatischen Verhandlungen zwischen den Hauptkonfliktparteien eingebunden und hat dazu beigetragen mehrere Abkommen auszuhandeln.

Auf der Seite von General Haftar steht das östliche Nachbarland Ägypten, dass ebenfalls im letzten Jahr damit drohte, zu Gunsten Haftars militärisch einzugreifen, die Vereinigten Arabischen Emirate gemeinsam mit Saudi Arabien, die beide das Feld nicht dem Rivalen Katar überlassen wollen, Russland und wahrscheinlich auch Frankreich sowie die USA, die kein Interesse an einer islamistischen Regierung in Libyen haben und vor allem darauf achten, wer von den Konfliktparteien einen sicheren Zugriff auf die Erdölressourcen hat. Frankreich bestreitet eine Parteinahme und Untergrabung der UNO- sowie EU – Position, doch zahlreiche Begegnungen zwischen General Haftar und Emmanuel Macron sollen einen anderen Eindruck vermittelt haben.
Maghreb – Ägypten droht mit militärischer Intervention in Libyen.
EU und Deutschland an sicheren Grenzen und verlässlichen Rohöl-Lieferungen interessiert.
Trotz des Bürgerkriegs exportierte Libyen weiterhin Rohöl und Erdgas vor allem nach Europa. Für Deutschland ist Libyen auch weiterhin der viertgrößte Lieferant von Rohöl (Stand Jan. bis November 2019), noch vor Kasachstan, Nigeria, den USA oder gar Saudi-Arabien. Die Rohölproduktion in Libyen ist vergleichsweise günstig und das Land liegt nahe an Europa. Hinzu kommt, dass man, schon aus der Zeit von Langzeitherrscher Muammar Al Gaddafi, in dem nordafrikanischen Land mit zahlreichen Firmen direkt oder Projektweise an der Rohölförderung beteiligt war und dies auch weiterhin ist. Darunter sind die italienische ENI Gruppe, der französische Konzern TOTAL, die spanische REPSOL, das österreichische Unternehmen OMV oder die deutsche Winterfall DEA (TEXACO). Daher sind mindesten diese Länder daran interessiert, für ihre Konzerne und für die eigenen Energieversorgung sichere, dass bedeutet für die EU meist stabile Verhältnisse herbeizuführen. Daher will man gerade im Berlin das Verhandlungsfeld, der EU inzwischen weniger freundlich gesinnten Parteien, wie Russland und die Türkei, nicht überlassen. Obwohl die EU offiziell die Position der UNO unterstützt, profitieren in Libyen beide Konfliktparteien von den Geschäften mit Europa, da die Förderorte sich unterschiedlich auf die kontrollierten Gebiete der Konfliktparteien verteilen. Laut der OPEC-Datenbank und mit stand 2019 exportierte Libyen Rohöl und Gas im Wert von über 24 Mrd. US-Dollar. Dies entspricht über 93% aller Exporteinnahmen des Landes.

Wer sich die Liste der oben genannten Unternehmen ansieht und dabei beachtet, welche Staaten dahinterstehen, wird eine große Übereinstimmung mit den Ländern feststellen, die 2011 die Kampfeinsätze gegen Langzeitmachthaber Gaddafi geflogen sind, als dieser kurz davorstand, den Aufstand im Osten des Landes militärisch niederzuschlagen. Kurz vor dem Einmarsch in Bengasi griffen vor allem Frankreich aber auch Italien ein und bombardierten die Kampfeinheiten Gaddafis und zerstörte sowohl seine Luftabwehr sowie seine Luftwaffe. Allen ist noch in Erinnerung, wie sich die damalige US-Außenministerin unter Präsident Obama und spätere Präsidentschaftskandidatin, Hillary Clinton, vor der Kamera über den Tod von Gaddafi ausgelassen freute.

Die EU sorgt sich aber nicht nur, um eine gesicherte Versorgung mit Rohöl und um die Interessen der eigenen Ölkonzerne, sondern auch aus innenpolitischen Gründen. Allen ist die Entwicklung nach der syrischen Flüchtlingskrise 2015 in Erinnerung, als die humanitär zurecht gelobte Willkommenskultur vor allem Deutschlands nicht nur die EU spaltete, sondern den Aufstieg von populistischen und rechtsradikalen Kräften begünstigte. Die syrischen Flüchtlinge, die dem Leid und einer der libyschen Situation ähnelnden Lage in Syrien entflohen sind, lösten das offene Auftreten von fremdenfeindlichen Haltungen aus, lies in Frankreich die heutige Rassemblement National (frühere Front National) unter Marine Le Pen, die bei den Präsidentschaftswahlen in einer Stichwahl erst vom damaligen Hoffnungsträger Emmanuel Macron gestoppt werden konnte, erstarken.
In den Benelux-Staaten, in Skandinavien und in Deutschland, mit der AFD, erstarkten rechtspopulistische Gruppen, die die Angst vor Überfremdung und den Frust aus der neoliberalen Globalisierungspolitik nutzten. In einigen Staaten im Osten der EU wich man offen von der EU-Politik und der Position Deutschlands ab und verweigerte nicht nur anteilig Flüchtlinge aufzunehmen, sondern schloss gleich die Grenzen. Erst ein teuer erkaufter Flüchtlingsdeal mit der Türkei, der noch in diesem Jahr neu ausgehandelt werden muss, half die Ängste zu nehmen und den etablierten Parteien wieder an Wählerzuspruch zu gewinnen. Das nordafrikanische Land Libyen gilt bis heute, als eine der wichtigsten Migrations- und Flüchtlingsrouten in Richtung Europa. Ein stabiles Libyen soll schnell und verlässlich dafür sorgen können, dass die Grenzen gesichert werden und der Migrationsdruck gesenkt wird.

Ziele der 2. Libyen-Berlin Konferenz
In der offiziellen Pressemeldung des deutschen Auswärtigen Amts heißt es zu den Zielen der Konferenz, dass man eine Bilanz der Ergebnisse der ersten Libyen-Konferenz vom 19. Januar 2020 ziehen möchte. Darüber hinaus gehe es darum, die nächsten Schritte zu beraten, um eine nachhaltige Stabilisierung des Landes zu erreichen und die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die für den 24. Dezember 2021 vorgesehen sind, zu ermöglichen. Ebenfalls geht es darum den Abzug alle ausländischen Interessensgruppen und Söldner in die Wege zu leiten und die Sicherheitskräfte der Kriegsparteien zu vereinigen.
Tatsächlich wird die Bilanz gemischt ausfallen müssen. Zwar wird bei dieser Konferenz erstmals eine Einheitsregierung, unter Führung von Premierminister Abdul Hamid Dbeibah die libyschen Interessen vertreten, und seit Februar 2021 halten sich alle Kriegsparteien mehr oder weniger an ein Waffenstillstandsabkommen, doch die zahlreichen ausländischen Gruppen und Länder haben sich nicht an den Stopp von Waffenlieferungen gehalten und auch ausländische Söldnertruppen sind noch im Land. Zugleich hat sich die Lage kurz vor der Konferenz wieder verschlechtert. So sind Kampfeinheiten von General Haftar in den Süden Richtung algerischer und der Grenze zum Niger verlegt worden und es sind erste Unsicherheiten darüber entstanden, ob die derzeitige Übergangsregierung ein Interesse daran hat, im Dezember die Wahlen stattfinden zu lassen.
Auswärtiges Amt bestätigt Einladung an Marokko.
Auf direkte Nachfrage von Maghreb-Post bestätigte das deutsche Auswärtige Amt, dass man alle von Maghreb-Post angefragten maghrebinischen Länder (Algerien, Marokko und Tunesien) eingeladen habe. Wörtlich dazu: „Eingeladen wurden die Staaten und Regionalorganisationen, die bisher Teilnehmer des Berliner Prozesses waren. Das ist bei allen drei der von Ihnen angesprochenen Staaten der Fall.“ Dabei wählt das Auswärtige Amt eine geschickte Formulierung und spricht nicht von der Berlin-Konferenz, sondern vom „Berliner Prozess“. Tatsächlich wurde Marokko nicht zur ersten Libyen-Berlin – Konferenz im Januar 2020 eingeladen, was in Rabat große Verärgerung auslöste. Erst zu den zwischenzeitlich einberufenen Videokonferenz war Marokko eingeladen, nahm aber demonstrativ lediglich vertreten durch einen Mitarbeiter des marokkanischen Außenministeriums teil. Dennoch muss man die Aussage des deutschen Außenministeriums derart werten, dass Marokko zur Konferenz am 23. Juni eingeladen wurde. Trotz Nachfrage beim marokkanischen Außenministerium durch Maghreb-Post liegt zum Erscheinungszeitpunkt dieses Artikels keine offizielle Bestätigung vor, dass Marokko an der Konferenz teilnimmt oder ob gar der Außenminister Nasser Bourita oder der Premierminister El Othmani nach Berlin reisen werden.
Diplomatische Eiszeit zwischen Berlin und Rabat.
Zwischen Berlin und Rabat herrscht derzeit eine diplomatische Eiszeit. Neben unterschiedlichen Auffassungen zur Westsahara-Frage und bei der Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden wirft Marokko der Bundesrepublik Deutschland vor, die diplomatischen Bemühungen und Erfolge des Königreiches in der Befriedung des Libyenkonflikts zu missachten, was aus Sicht Rabats darin gipfelte, dass man das Königreich „bewusst“ nicht zur ersten Berlin-Konferenz einlud. Rabat hat seit Wochen seine Botschafterin aus Berlin abgezogen und auch die direkte Kommunikation mit dem deutschen Botschafter und deutschen Organisationen in Marokko ausgesetzt. Augenscheinlich ist Marokko, und dies ist das Argument Deutschlands, keine direkte in den Konflikt involvierte Macht oder ein vom Konflikt direkt betroffenes Land. Tatsächlich scheinen aber die libyschen Konfliktparteien in die Vermittlerrolle Marokkos ein Mindestmaß an Vertrauen zu haben, was dazu beigetragen hat, dass die Parteien wiederholt Verhandlungsdelegationen nach Tanger, Skhirat und Bousnika entsandt haben, wo es um einen Friedensprozess und einer konkreten Machtverteilung ging. So gelang es in der marokkanischen Küstenstadt Skhirat, nahe der Hauptstadt Rabat, erstmals 2015 die Konfliktparteien zur Unterzeichnung eines Abkommens zu bewegen, dem ersten Fahrplan zum Frieden. Auch in den Folgejahren traf man sich, auf Einladung und unter Vermittlung Marokkos, wiederholt und schloss weitere Abkommen, die nicht unwesentlich die Bildung einer Einheitsregierung ermöglichten.

Im Vorfeld der zweiten Libyen – Berlin Konferenz besuchten der Vorsitzende des libyschen Staatsrates, der Präsident des libyschen Übergangsparlaments und die libysche Außenministerin das Königreich Marokko, um sich mit ihren Amtskollegen zu beraten und abzustimmen. In der vergangenen Woche sprachen der UNO-Sondergesandte und Leiter der Libyen Unterstützungsmission (UNSMIL), Jan Kubis, und der marokkanische Außenminister, Nasser Bourita, über die Konferenz in Berlin und kamen, laut einer Erklärung des marokkanischen Außenministeriums, darüber überein, dass man auf die Sicherstellung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Dezember 2021 in Libyen hinarbeiten müsse.

In Rabat ist man schon länger der Auffassung, dass die islamischen und arabischen Länder sich selbst in die Lage versetzen müssen, solche Konflikte wie in Libyen zu lösen und die damit meist einhergehende Einmischung von außen zurückzudrängen. Auch das Engagement der EU und insbesondere Deutschlands wird in Rabat kritisch und nicht als selbstlos bewertet.
Natürlich hat auch Marokko Interessen, wenn es sich im Libyenkonflikt engagiert. Politisch will man mehr als ehrlicher Mittler gerade in Afrika angesehen und nicht mehr, im Zusammenhang mit der Westsahara, als vermeintlich letzte Kolonialmacht beschimpft werden. Die marokkanische Wirtschaft erhofft sich zukünftig günstige Gas- und Rohöllieferungen aus Libyen und damit mehr Unabhängigkeit vom Rivalen Algerien sowie Aufträge beim Aufbau von Infrastruktur, Finanzwesen und Verwaltungsprozessen.
Eine Teilnahme Marokkos bei der Konferenz in Berlin wäre der erste öffentliche diplomatische Kontakt zwischen dem Königreich und Deutschland seit Monaten und eine Gelegenheit die Wogen wieder etwas zu glätten, in dem man die bisherige diplomatische Arbeit Rabats würdigt und man den Eindruck abmildert, dass Berlin Algerien, aufgrund der Erdgasliegerungen nach Europa, zu Lasten Marokkos hofiert. Das nordafrikanische Königreich sieht sich als der Energielieferant der Zukunft vor den Toren Europas, durch den Aufbau großer Solar- und Windparks sowie einer mit Deutschland vereinbarten gemeinsamen Wasserstoffprodukt, ein Projekt, welches Berlin vor dem Hintergrund der diplomatisch schwierigen Beziehungen gerade auf Eis gelegt und als gefährdet eingestuft hat, um Druck auf Marokko auszuüben.
Trotz all dieser sonstigen Verzweigungen und Verbindungen sollte man nicht die Hoffnung aufgeben, dass das libysche Volk von dieser Konferenz profitiert.