Algier bewertet mutmaßliche Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Lage in Algerien als „unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten“. Algier erinnert an die Kolonialzeit und den „Völkermord“.
Algier – „Algerien hat am Samstag seine „kategorische Ablehnung der inakzeptablen Einmischung in seine inneren Angelegenheiten“ nach den unwidersprochenen Äußerungen zum Ausdruck gebracht, die von mehreren französischen Medien namentlich dem Präsidenten der Französischen Republik zugeschrieben wurden,“ so die Präsidentschaft der Republik in einer Erklärung, die über die staatliche Nachrichtenagentur APS veröffentlicht wurde. „Die betreffenden Äußerungen sind ein unerträglicher Angriff auf das Gedenken an die 5.630.000 tapferen Märtyrer, die ihr Leben im heldenhaften Widerstand gegen die französische koloniale Invasion und in der glorreichen nationalen Befreiungsrevolution geopfert haben“, betonte die Präsidentschaft der Republik Algerien.
Macron wirft algerischem Regime Geschichtsfälschung und den Hass auf Frankreich als Grundlage für die eigene Legitimität vor.
Hintergrund der Empörung in Algier sind mutmaßliche Äußerungen des französischen Präsidenten Macron, zum politischen System und dem geschichtlichen Hintergrund in Algerien, mit Bezug auf die Beziehungen zu Frankreich.
Während eines Treffens mit jungen Menschen zum Algerienkrieg, über den die Tageszeitung „Le Monde“ am Donnerstag (30. September 2021) berichtete, soll der französische Präsident die Bewertung geäußert haben, dass Algerien seit seiner Unabhängigkeit auf einer „Erinnerungsrente“ aufgebaut wurde, die vom „politisch-militärischen System “ aufrechterhalten wird. Er soll nach einem Bericht von Le Monde auch von einer „offiziellen Geschichte“ gesprochen haben, die seiner Meinung nach „völlig umgeschrieben“ sei und „nicht auf Wahrheiten“ beruhe, sondern auf einem „Diskurs, der auf dem Hass gegen Frankreich basiert“. Bei dem Treffen kamen der französischen Präsidenten und etwa zwanzig jungen Menschen zusammen, deren Eltern oder Großeltern ehemalige Kämpfer der FLN während des Algerienkriegs (1954-1962), Harkis (algerische Paramilitärs im Dienste Frankreichs) oder Aussiedler waren.
Auf die Frage eines jungen Mädchens, das in Algier aufgewachsen ist, soll Präsident Macron gesagt haben, dass er nicht glaube, dass es einen „Hass“ gegen Frankreich gebe, „der von der algerischen Gesellschaft in ihrem Innersten ausgeht, sondern von dem politisch-militärischen System, das auf dieser Gedächtnismiete aufgebaut wurde“.
Emmanuel Macron soll auch das jetzige politische Regime eingeschätzt haben. Ihm zufolge „sehen wir, dass das algerische System ermüdet sei, der Hirak [die pro-demokratische Bewegung, die der Grund für den Rücktritt des kürzlich verstorbenen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika im Jahr 2019 war] hat es geschwächt. In seinem Gespräch mit den Jugendlichen soll der französische Präsident versichert haben, dass er „einen guten Dialog mit dem algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune“ geführt habe, soll aber hinzugefügt haben: „Ich sehe, dass er in einem System gefangen ist, das sehr verkrustet wirkt.“
Eine mutmaßliche rhetorische Frage an die Diskussionsrunde des französischen Präsidenten könnte in Algier weiteren Zorn ausgelöst haben: „Gab es vor der französischen Kolonialisierung eine algerische Nation? Das ist die Frage“, fragte der französische Präsident und erinnerte daran, dass es „frühere Kolonisatoren“ gegeben habe. In einem ironischen Ton soll Macron weiter erläutert haben, er sei „fasziniert von der Fähigkeit die Türkei, die Rolle, die sie in Algerien gespielt hat, und die Herrschaft, die sie ausgeübt habe, völlig zu vergessen“, wobei er sich auf das Osmanische Reich bezog, „und um dann zu erklären, dass wir [die Franzosen] die einzigen Kolonisatoren gewesen sind, das ist großartig.“
Algerische Präsidentschaft bewertet Äußerungen Macrons als Relativierung von Völkermord.
Laut der Erklärung der algerischen Präsidentschaft drücke sich in den Äußerungen des französischen Präsidenten „die Sehnsucht der Nostalgiker nach dem französischen Algerien und derjenigen, die sich nicht mit der vollen Unabhängigkeit abfinden wollen, die die Algerier unter großen Anstrengungen errungen haben, in vergeblichen Versuchen aus, die Misshandlungen, Massaker, die Verbrennung von Menschen, die Zerstörung von Dörfern, die Hunderte von „Oradour-Sur-Glane“, die massenhafte Vernichtung von Stämmen und von Widerstandskämpfern zu verbergen, welche eine Reihe von Völkermorden darstellen, die durch akrobatische Wortwahl und politische Winkelzüge niemals verschleiert werden können.“
„Darüber hinaus sind oberflächliche Einschätzungen, ungefähre und tendenziöse Aussagen über den Aufbau des algerischen Nationalstaates und die Bekräftigung der nationalen Identität Teil einer überholten hegemonialen Konzeption der Beziehungen zwischen den Staaten und können in keiner Weise mit dem festen Bekenntnis Algeriens zur souveränen Gleichheit der Staaten vereinbar sein.“
Weiter heißt es in der algerischen Reaktion: „Diese unglücklichen Äußerungen, die den Grundsätzen einer möglichen algerisch-französischen Aufarbeitung der Geschichte grundlegend widersprechen, haben den unverbesserlichen Fehler, dass sie dazu neigen, eine entschuldigende Version des Kolonialismus zu fördern, zum Nachteil der Version, die durch die Geschichte der Legitimität der Kämpfe für die nationale Befreiung entstanden ist, nichts und niemand kann die Kolonialmächte von ihren Verbrechen freisprechen, einschließlich der Massaker vom 17. Oktober in Paris, deren Algerien und die algerische Gemeinschaft in Frankreich in Würde gedenken werden“, so der Präsident der Republik weiter.
Algier ruft Botschafter Mohamed Antar-Daoud aus Paris zurück.
Bereits am gestrigen Samstag hat Algier auch diplomatisch reagiert. Wie die Erklärung weiter mitteilt, wurde der algerische Botschafter in Paris, Mohamed Antar-Daoud, zurückgerufen. „Angesichts der besonders inakzeptablen Situation, die durch diese unverantwortlichen Äußerungen entstanden ist, hat der Präsident der Republik, Abdelmadjid Tebboune, beschlossen, den algerischen Botschafter in der Französischen Republik unverzüglich zu Konsultationen zurückzurufen.“